Kann ein Ironman Liebesbeweis sein? Kann man seiner Liebsten eine Triathlon-Langdistanz vor der südhessischen Haustür schenken? In diesen Zeiten? Ja, kann man. Thomas Pignede hat seine Freundin auf sportlich und emotional hochtourige Weise beschenkt. Er hatte erlebt, wie gut und gewissenhaft sie sich auf den Ironman Frankfurt, ihre Langdistanz-Premiere, vorbereitet hatte. Als die für den 28. Juni geplanten EM am Main dann abgesagt werden mussten, suchte Pignede nach Lösungen, um ihr irgendwie das Rennerlebnis über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer zu verschaffen. Auch um ihre gute Form nicht einfach so verpuffen zu lassen. Und so stand Anne Hauck am Sonntagmorgen um 6 Uhr in der Früh am Ufer der Grube Prinz von Hessen im Darmstädter Stadtwald.
Der Nebel waberte über das Wasser, aber selbst um diese Uhrzeit hatten sich schon ein paar Freunde zum Anfeuern eingefunden, das Lied „The Final Countdown“ erklang – und Anne Hauck stürzte sich in ihrem schwarzen Neoprenanzug mit gelber Badekappe in die Fluten. Eskortiert von einem Bekannten in einem Paddelboot.
„Es war alles unverhofft, unerwartet und außergewöhnlich. Ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde“, erzählt die 29-Jährige am Tag danach strahlend. In einer Zeit, in der die Triathlonszene noch in einer Negativspirale zwischen Demotivation und Depression gefangen zu sein scheint. „Ich habe mich in der Corona-Zeit nicht unterkriegen lassen. Ich wollte einfach wissen, ob ich Langdistanz kann. Und da blieb mir nichts anderes übrig, als es einfach zu machen“, sagt Anne Hauck. Das Paar hatte sich einst im Team der freiwilligen Helfer des vom DSW Darmstadt ausgerichteten Woogsprint Triathlon kennengelernt. Mittlerweile sind beide im Vorstand der DSW-Triathlonabteilung und sehr engagiert.
Weil sie als Architektin wieder im Büro arbeitete, er als Software-Entwickler aber noch im Homeoffice, konnte Pignede in seinen Arbeitspausen das logistisch herausfordernde Geschenk-Format geheimniskrämerisch angehen. Frei nach Superstar Jan Frodeno, der in der Corona-Zeit medienwirksam eine Ironman-Distanz daheim absolvierte. Allerdings verfügt das Darmstädter Paar weder über einen Pool mit Gegenstromanlage noch über Radrolle und Laufband im Wohnzimmer. So war es ein echtes (Solo-)Rennen auf einem echten Rennkurs. Ein Renntag, der knüppelhart war und doch eine starke romantische Note hatte.
Nach dem Schwimmen führte die Radstrecke von der Grube aus auf einen 15 Kilometer langen Rundkurs bei Messel und Urberach, den sie elfmal bewältigen musste. Eine Strecke mit vornehmlich Rechtskurven, damit die Athletin so wenig Zeit wie möglich an Kreuzungen verlor. Pignede und sein bester Kumpel Felix Haupt, der die Trainingspläne für Anne Hauck geschrieben hatte, standen an einer errichteten Verpflegungsstation. Vereinskollegen fuhren den Rundkurs in entgegengesetzter Richtung, um sie häufig sehen und bei etwaigen Defekten am Rad oder Ähnlichem schnell zur Stelle sein zu können.
Das letzte Stück der Radstrecke führte dann nach Darmstadt hinein. Anne Hauck hatte Glück, dass sie auf den gesamten 180 Kilometern nie aus ihren Pedalen klicken musste. Bei der Generalprobe hatte sie noch zweimal an Bahnübergängen an geschlossenen Schranken warten müssen. Die Wechselzone 2 befand sich dann in der Wohnung des Paars im Martinsviertel. Was den Vorteil hatte, dass sie die Rennmaschine dort gleich sicher abstellen konnte. Der finale Marathon führte in den Darmstädter Bürgerpark auf die für sie bekannte Trainingsstrecke des DSW.
Bei Kilometer 30 habe sie ihr erstes und einziges Tief erlebt, erzählt Anne Hauck. „Aber ich wusste, dass ich zäh bin.“ Sie habe ja bei Thomas gesehen, wie dieser sich auf seine beiden Langdistanzen 2019 vorbereitet hatte. Der Franzose war im vorigen Sommer in Frankfurt an den Start gegangen und hatte sich mit einer starken Zeit von 9:24:14 Stunden „aus Versehen“, wie er lachend sagt, für die Ironman-Weltmeisterschaften auf Hawaii qualifiziert. „Die Einheiten in der Vorbereitung“, sagt Anne Hauck, die häufig zusammen mit Thomas trainierte, „sind lang und locker und davon viel. Es tut gar nicht so weh.“ Und so ging sie die Langdistanz an, obwohl 2019 ihr sportliches Unglücksjahr war: Geprägt von Verletzung, Krankheit und einem schlimmen Radunfall bei einem Vereinstrainingslager in Italien, als sie von einem Auto erfasst wurde.
Je länger ihr Lauf im Bürgerpark dauerte, desto mehr Freunde und Bekannte fanden sich an der Strecke ein. Pignede schaute immer wieder ungläubig auf die Uhr und überbrachte ihr schließlich die Motivationsbotschaft, dass eine Zeit unter elf Stunden drin sei. Freunde auf Fahrrädern eskortierten sie für das Finale aus dem Bürgerpark hinüber zur Rosenhöhe, bimmelten ihr mit Kuhglocken den Weg frei. Spaziergänger blieben stehen und applaudierten, obwohl sie nicht so recht wussten, was hier gespielt wird.
„Ich bin stolz, froh und beeindruckt, was in ihr steckt“, sagte Pignede. Vor dem Ziel ging es noch mal berghoch – leicht bergan geht es ja auch zum Zieleinlauf auf dem Frankfurter Römer, wo sie ja ursprünglich das große Ironman-Glück erleben wollte. Auf einem Banner stand „Iron-Anne“, und der Rest war sportliche Glückseligkeit. In starken 10:50:13 Stunden (auf einer etwas zu langen Strecke) wandelte Anne Hauck quasi auf den Spuren der Ironman-Weltmeisterin Anne Haug, von der sie zumindest im Namen nur zwei Buchstaben trennen. „Ob ich noch ein offizielles Ironman-Rennen in meinem Leben will und brauche, weiß ich noch nicht“, sagte sie. „Wenn dies meine einzige Langdistanz im Leben bleiben wird, dann war es eine sehr, sehr coole.“
July 15, 2020 at 02:08AM
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Ein Ironman als Geschenk vom Freund - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung
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